Was motivierte die Menschen im alten Indien zum Yoga?

Das Wort Yoga hatte im Sanskrit-Vokabular immer eine Menge ganz verschiedener Bedeutungen, bevor es zum Namensgeber einer Übungspraxis wurde.

Ein Tier anjochen, beziehungsweise das Joch an sich, die Konstellation von Sternen, ein Rezept, Disziplin und zahlreiche andere. Yoga wurde ein Pseudonym für „das Richtige tun“, auf dem rechten Weg sein. Paradigmatisch wurde das Wort Yoga im Bild eines sterbenden Kriegers der auf den Schwingen des Yogas in die Einheit mit dem höchsten Universellen davongetragen wird, stellt der Religionswissenschaftler David Gordon White heraus.

Je mehr der Begriff Yoga einher ging mit einer Methode, einer Übungspraxis (Sanskrit: Sadhana), desto mehr dachte man im alten Indien darüber nach, welches Verhalten, welche Eigenschaften und welche Übungen einen auf dem Yogaweg motivieren und bestärken, und welche Haltungen und Probleme dazu führen, dass jemand den Yoga-Weg nicht betritt oder wieder von ihm abkommt. Der Weise Patanjali listet als wesentliche Hindernisse die Krankheit und Trägheit, den Zweifel, die Gleichgültigkeit und Faulheit, das Verlangen nach Vergnügen, die Täuschung neben der Unfähigkeit zur Konzentration und der Ruhelosigkeit des Geistes (Yoga Sutra 1.30).

Ethik als Motivationsfaktor

Mit Patanjali etablierte sich Yoga als ein achtgliedriger Pfad, bestehend aus verschiedenen Disziplinen. Besonderen Wert legten diese Ur-Yogis auf ethisches Verhalten, zusammengefasst in den fünf so genannten Yamas: Ahimsa: Gewaltlosigkeit, Satya: Wahrhaftigkeit, Asteya und Aparigraha: nicht stehlen, nichts mitnehmen, annehmen, was nicht wichtig ist, gefolgt von Brahmacarya: der Enthaltsamkeit, der Ausrichtung auf das Wesentliche/Wahrhaftige. Weitere ethische Prinzipien fasst Patanjali mit dem Oberbegriff Niyamas zusammen: Sauca: die Reinheit, Santosa: Zufriedenheit, das Ende der Gier, Tapas: Feuer, Ausdauer, Disziplin, Entschlacken, Svadhyaya: ans Selbst herankommen, Reflexion, Selbsterkenntnis und Isvara Pranidhana: die Hingabe an Gott. Ob diese Einstellungen und Qualitäten nun Voraussetzungen, Ausgangspunkte sind, von denen aus die eigentliche Yoga-Praxis beginnt, oder ob jemand mit Yoga-Übungen mehr von diesen Qualitäten entwickeln möchte – beides ist denkbar.

Yoga und Bhoga

Die Motivation, Yoga zu üben kann also sehr unterschiedlich sein, und das war sie schon, solange es Yoga gibt. Grob lassen sich zwei Gruppen von Motivation benennen. Die erste umkreist das, was die alten Yoga-Schriften als Bhoga bezeichnen: dazu gehören Gesundheit und Fitness, der Genuss des Lebens, und die (Sinnen)-Freude. In Indien nennen sich Menschen, die Yoga-Übungen aus dieser Motivation heraus machen, sogar selbst Bhogis, anstelle von Yogis. Das ganze ist überhaupt nicht abwertend gemeint. Im Genuss der Lebensfülle sind auch die Bhogis bestrebt danach, den Genüssen nicht anzuhaften (Sanskrit: Aparigraha).

In seinem System der äußeren und inneren Werte, das Patanjali aus älteren Yogaschriften adaptierte, überschreitet der Übende die Schwelle vom Bhoga zum Yoga mit den Prinzipien Tapas (Feuereifer beim Üben, intrinsische Motivation bis hin zur Sucht danach zu Üben), Swadhyaya (Selbststudium, Erkenntnis, dass wir nicht unser Ego sind, Verbindung mit dem höheren Selbst) und Isvara Pranidhana (Hingabe an Gott, Ergebung in das Göttliche).

Ergo: können wir dieselben Yoga-Übungen aus ganz verschiedenen Motivationen machen, Rückenschmerzen, Hautprobleme oder Appetitlosigkeit damit behandeln, hoffen, durch Yoga schöner auszusehen und bessere Laune zu bekommen, ruhiger, gelassener, konzentrierter zu werden – alles Qualitäten, mit denen sich Yoga heutzutage als Produkt bewirbt – oder: um unser Ego zu überwinden, der inneren Göttlichkeit näher zu kommen oder gar übersinnliche Kräfte (Siddhis) zu erlangen: was sich überhaupt nicht mit oben Beschriebenem ausschließt. Keine Motivation ist per se besser als eine andere, vielen Übenden hilft es, sich immer wieder klar über die eigene Motivation beim Yoga zu werden. Eine aufgesetzte Motivation wird keine guten Ergebnisse bringen, möglicherweise sogar ins Gegenteil umschlagen, zu Verletzungen und Irritationen führen.

Hat sich die Motivation zum Yoga heute verändert?

Was für Motive, welche Beweggründe führen heutzutage zu der Handlungsbereitschaft, die den Impuls gibt, dass sich jemand einen Yogalehrer sucht? In der Umfrage des Yoga-Journals waren die fünf Top-Gründe, mit Yoga anzufangen: körperliche Flexibilität, Stressabbau, körperliche und geistige Fitness und die Stärkung der Gesundheit. Auch wenn Stichworte wie körperliche Flexibilität und Stressabbau eher modern klingen, möchte ich sie hier in den Kontext der Gewaltlosigkeit stellen, denn körperliche Verspannungen und Stress sind eine Form von Gewalt, die Schaden anrichten. Die Herstellung der Gesundheit, die Freiheit von Körpermeldungen des Unwohlseins zeigt uns in unserer Wahrhaftigkeit, so wie wir unter günstigen Bedingungen einmal auf die Welt gekommen sind – gleichzeitig lehrt das Prinzip der Wahrhaftigkeit, uns selbst und unseren Körper so anzunehmen wie er ist, so dass unsere körperlichen Leiden zum Motiv des Übens werden, und Yoga zum Freund, der sich ihrer annimmt.

86% der 2016 Befragten berichteten von geistiger Klarheit, physischer Stärke und Balance wie auch größerer Empathie ihrer Community und der Umwelt gegenüber durchs Yoga – das waren 20% mehr als im gesellschaftlichen Durchschnitt. Diese von den US-Yogis berichtete geistige Klarheit führe ich auf das ur-yogische Prinzip Brahmacarya zurück. Die oben beschriebene Empathie unserer Umwelt gegenüber lässt sich auch noch mit Begriffen alter Yogatexte assoziieren. Werte wie Sauca, sprich Reinheit spiegeln sich im größeren Ernährungsbewusstsein moderner Yoga-Übender. Yoga-Menschen kaufen im Vergleich doppelt so oft im Bioladen ein und essen vegetarisch.

In der Umfrage fielen andere Aspekte, die den Ur-Yogis wichtig waren, dagegen eher unter den Tisch: das Ende der Gier, ein mit-dem-Auskommen, was man hat, das Anstreben bedingungsloser Zufriedenheit (Santosha) hatten keine Priorität. Natürlich bekunden viele Yoga-Fans, dass sie ein einfacheres zufriedeneres Leben anstreben, in erkennbare Umfragewerte schlug sich diese Sehnsucht jedoch nicht aus.