Wer macht heute alles Yoga?

In deutschen Metropolen werden Dutzende verschiedene Yoga-Stile angeboten, von denen der größte Teil seine Wurzeln im indischen Hatha-Yoga des frühen 20. Jahrhunderts hat.

Seit Jahrzehnten in den Großstädten präsent sind Astanga-Yoga, Iyengar-Yoga und Kundalini-Yoga, drei Richtungen, die ihren Ursprung noch komplett in Indien haben. Das vom indischen Yogameister K. Patthabi Jois (1915-2009) entwickelte Astanga-Yoga arbeitet mit dynamischen Übungssequenzen. Mit akrobatischen Abläufen und einer tiefen verlangsamten Atmung (Ujjayi) finden Übende hier oft in ekstatische, trance-artige Zustände. Statischer und detaillierter arbeitet der Iyengar-Yoga, benannt nach seinem Gründer BKS Iyengar (1918-2014). Hier werden die körperlichen Proportionen in den Yogastellungen anatomisch genau ausgelotet und diverse Hilfsmittel wie Blöcke, Gurte und Decken verwendet, um ergonomisch zu Üben. Ein wichtiges Segment dieser Richtung ist die Yoga-Therapie verschiedener spezifischer körperlicher Probleme. Seine Wurzeln im Tantrismus hat der Kundalini-Yoga, der mit dem Inder Yogi-Bhajan in den 1960er-Jahren in den Westen kam. Mit abwechselnder Anstrengung und Entspannung, dynamischen Bewegungsabläufen und Meditation geht es hier tiefer in psycho-energetische Yoga-Konzepte wie die Chakren hinein.

Von diesen Hauptrichtungen gibt es zahlreiche Ableger, darunter das von zwei New Yorker Künstlern entwickelte Jivamukti-Yoga und das vom Iyengar-Schüler John Friend etablierte Anusara-Yoga. Aus der Kundalini-Tradition entfaltete die US-Amerikanerin Kali Ray ihren eigenen TriYoga-Stil, der fließende, sanfte Bewegungsabläufe bevorzugt.

Im wachsenden Yoga-Markt sprießen neben diesen „klassischen“ Richtungen, immer mehr exotische und stark personalisierte Angebote hervor: Die FKK-Variante Nackt-Yoga bringt immer wieder Quote in den Medien, auch wenn beim Nackt-Yoga nichts Anderes gemacht wird als im gängigen Yogakurs. Begründet in den 1990ern von einem Arzt aus Mumbai, möchte der Lach-Yoga (Hasya-Yoga), seine Schüler mit grundlosem Lachen zur Erleuchtung oder auch nur zu Gesundheit und Fitness, einer positiven Lebenseinstellung führen, hier kann wirklich jeder mitmachen, der noch lachen kann. Yoga mit Babys, Pferden und Hunden haben dagegen klar definierte Zielgruppen. Purer Punkrock und ernsthaften Yogis ein Dorn im Auge sind die Disziplinen Cannabis- und Bier-Yoga. Auf der anderen Seite dieses Spektrums steht Yoga als olympische Disziplin – dass es bald auch Yoga-Goldmedaillen gibt, möchten die indische Regierung und zahlreiche Yoga-Lobbyisten. Die Wettkämpfe könnte man sich dann gemütlich bei einem Bier im Fernsehen anschauen, so wie die Bundesliga im Volkssport Fußball. Anders als beim Fußball gibt es beim heutigen Yoga noch keine Regeln. Jeder darf sich Yoga-Lehrer nennen. Nur einzelne Richtungen wie Iyengar haben ein Copyright und wachen in Berufsverbänden über seine Einhaltung. Ebenso der in Kalifornien agierende, kontroverse indische Yoga-Guru Bikram Choudhury: Die Lehrer seiner patentierten Methode mussten ein festgelegtes Skript herunterrezitieren, das sie nicht verändern durften.

Der gesellschaftsübergreifende Appeal von Yoga stützt sich nicht zuletzt auf seine Beliebigkeit. Jeder Zielgruppe (Eltern, Hundehalter) und vielen Freizeit-Aktivitäten (Karaoke, Alkohol-Trinken) gibt man hier den Zusatz Yoga, vereint die Handflächen vor dem Herzen und fertig. Zwischen Physiotherapie und Entspannungshilfe, dynamischem Sport und spannenden Göttergeschichten, Singen und Spüren, Fußsohlen und Stimmbändern ist für jeden etwas dabei. Diese Etikettierung und Streuung nach Zielgruppen macht den Yoga zu einer Ware. Wer sich vom Yoga-Branding löst und weiterübt, verbindet mit Yoga eine komplette Lebensform, die neben den Übungen auch Ernährung, Musik, Mode und soziales Miteinander einschließt. Yoga wird zum wahrhaftig individualistischen Statement. Diese beiden Aspekte erden den Yoga doppelt in der Popkultur.