Der Yoga-Krimi – Licht und Schatten der Hare Krishna-Bewegung

Es fing damit an, dass ich eine CD fand. Der Interpret hieß Krishna. Krishna Das, und es gab da ein tolles Lied: den „Hare Krishna Meltdown“. Ging bei den Asanas gut zu Sonnengrüßen. Tolles Arrangement, das wollte ich lernen, und es wurde ein Teil von mir: Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna Hare Hare. Hare Ram, Hare Rama, Rama Rama Hare Hare…

Ich wollte mehr über den Hindu-Gott Krishna wissen, hatte nur die Bilder von indischen Einkaufstaschen parat: Baby Butter Krishna, Hirte Gopala Krishna, Flötenspieler Govinda Krishna… hier und da gab es die eine oder andere Geschichte im Netz, Cartoons aus dem indischen Fernsehen, so richtig umfassend schien nur ein Krishna-Buch von einem Srila Prabhupada zu sein. Als es ankam, aus den USA, lag das Buch bibelschwer in meinen Händen, und ich suchte im Netz nach diesem Swami Prabhupada:

Geboren 1896 in Kalkutta, wuchs Abhay Charan De, der sich später Bhaktivedanta Swami Prabhupada nannte und der Gründer der weltweit agierenden Hare Krishna-Sekte wurde, in ärmlichen Verhältnissen auf. Er studierte am Scottish Church College in Kalkutta (wo auch schon andere, im Westen erfolgreiche Yogis wie Vivekananda und Yogananda gewesen waren), wurde danach Vertreter von Arzneimitteln und Familienvater, legte schließlich das Gelübde ab, ein Bettelmönch und Sannyasin zu werden. Sein Guru wies ihn an, die Werke der Gaudiya-Vaishnava-Religion in die englische Sprache zu übersetzen und missionarisch zu verbreiten.

1965 ging der fast 70-Jährige nach New York, mietete eine heruntergekommene Ladenwohnung in der Lower East Side, wo er Unterricht im Hindusimus gab, die Bhagavad Gita erklärte und Krishna, den Helden des Epos beschrieb. Seiner noch kleinen Anhängerschaft erklärte er, dass sie Krishna dienen würden, indem auf Fleisch, Drogen, auch Kaffee und Zigaretten verzichteten, keusch lebten und ihre Stirn mit einer duftenden Paste salbten, vor allem, wenn sie das Hare Krishna-Mantra genau 1728 Mal am Tag rezitierten. Dann würden sie sich aus der Welt der materiellen, sinnlichen Illusion, aus Maya erheben.

Prabhupadas Publikum wuchs rasant. Er rannte bei den spirituellen Sinnsuchern der Sechziger offene Türen ein. Vielleicht half, dass es Berührungspunkte zwischen Krishna und Christus gibt. Hare Krishna wurde die hippe Variation von Hallelujah, und Jesus war für die Hippies ja am Ende auch ein Yogi. Die Vertiefung in den blauen, pfauenfedertragenden, flötenspielenden, frauenbetörenden, barfüßigen Gott schien die Überholspur auf dem Weg zur Erleuchtung. „Stay High Forever“: proklamierte ein Flyer, der zu einem Hare Krishna-Kirtan einlud. Das Krishna-Mantra fege den Staub vom Spiegel des Bewusstseins, „süßer als LSD, günstiger als Gras und feuerfest bei Hype und Verzerrung“, schrieb das Underground-Magazin The East Village Other.

Prabhupada organisierte also die ersten größeren Mantra-Sing-Sessions im Westen, und sein Timing war perfekt. Nachdem John Lennon und George Harrison eine Kirtan-Schallplatte von Prabhupada hörten, wurden sie Fans, Harrison sogar ein Laien-Anhänger von Prabhupadas gegründeter International Society for Krishna Consciousness (ISKCON). Auch andere Popmusiker und Prominente der Flower Power-Bewegung wurden im Krishna-Kult aktiv, darunter der Schriftsteller Allen Ginsberg, der als einer der ersten Westler ein indisches Harmonium hatte: Relikt der britischen Missionare der Kolonialzeit, das heute als Hauptinstrument der Mantra-Musik gilt. Bei einem Mantra-Rock-Dance in San Francisco spielten 1967 (zwei Jahre vor Woodstock) die Grateful Dead, Moby Grape und Janis Joplin vor Tausenden. 1969 nahm Harrison, der sich gern im Londoner Tempel der Bewegung blicken ließ, eine Version des Mahamantras auf. Seine Hare Krishna-Single verkaufte am Erscheinungstag 70.000 Stück und erreichte Platz 12 der britischen Charts. Harrison spendete der Bewegung hohe Summen und schrieb Vorwörter der Bücher von Prabhupada.

Mit dem Ende der Hippies und mit dem Tod Prabhupadas 1977 verschwand die Hare-Krishna-Bewegung aus dem Rampenlicht. Dabei blieb sie weltweit etabliert und vernetzt in Zentren und Tempeln. Prabhupadas Nachfolge übernahmen elf seiner engen Schüler, die dann wie Mafiosi die weltweiten Territorien der Organisation unter sich aufteilten und dort despotisch regierten. Krassestes Beispiel war ein Keith Ham aus Virginia, der sich dann Kirtananda Swami Bhaktipada nante und eine Kommune mit dem Namen New Vrindavan gründete (nach dem indischen Wallfahrtsort in Uttar Pradesh, wo Krishna der Legende nach aufwuchs). Von seinen Jüngern ließ er sich in einer juwelengeschmückten Sänfte herumtragen. Im Marmortempel lagerten Waffen.

In den 1980ern sickerten Skandalmeldungen über Drogen und Kindesmissbrauch, Gewalt gegen Frauen und Zwangsverheiratung, Ausbeutung, Betrug, Gehirnwäsche, Mord und missionarisches Auftreten in der Öffentlichkeit durch. Hare Krishna wurde ein Fall für die Sektenbeauftragten des Verfassungsschutzes. Verschiedene Bücher beschreiben die schrecklichen Vorkommnisse, aus ihnen ging ein eigenes Mini-Genre hervor: der Yoga-Krimi. 1987 erschien „Monkey on a Stick“ von John Hubner und Lindsey Gruson. In den Nullerjahren unseres Jahrhunderts brachte die Autorin Diana Killian mit Titeln wie „Dial Om for Murder“ ihre Mantra-Mystery-Serie heraus.

Oh wow, jetzt wusste ich, warum ich in Berlin und anderswo noch nie auf einer Mantra-Session das Mahamantra gehört hatte, das Krishna Das auf seiner CD wiederbelebt. Gedanklich bedankte ich mich bei Krishna Das. Auf seinen Alben sind Popstars wie Sting; Rick Allen von Def Leppard und Walter Becker von Steely Dan zu hören. Einen Titel produzierte der Hip-Hop-Country-Überflieger Rick Rubin. 2013 wurde Krishna Das für einen Grammy nominiert. Damit ist er heute in der Yoga-Szene wahrscheinlich bekannter ist als – fünfzig Jahre nach seinem Hey-Day – der autoritäre patriarchalische Prabhupada. Die Krishna-Verehrung nützt in Indien Tausenden Witwen, die Zuflucht in Vrindavan finden, wo sie als Ehefrauen des Gottes respektiert werden (wie einst in der Legende die Gopis, die Kuhhirtinnen). Die Hare Krishna-Bewegung hat sich selbst saniert und nimmt sich selbst weniger ernst, (siehe unten), das Missionarische ist dabei anscheinend aber geblieben, und die Yoga-Szene setzt heute andere Prioritäten.