Yoga-Mann und Yoga-Frau – welche Motivation haben sie?

Mann und Frau

In den 1990ern outeten sich die Popstars Sting und Madonna in den Medien als Yoga-Fans. Damit brachten sie eine bis heute andauernde Yoga-Lawine ins Rollen.

Sting war zuvor mit seiner Band The Police aus dem Umfeld der britischen Punkbewegung heraus ein Superstar geworden, seine Solo-Alben verkauften sich die 1980er- und 1990er-Jahre hindurch millionenfach. Im Dezember 1995 gab Sting der Zeitschrift Yoga-Journal ein langes Interview, in dem er erzählte, wie er den Yoga entdeckte:

Zum Anfang der Dekade hatte Stings damaliger Gitarrist Dominick Miller ihm den Musiker und Yogalehrer Danny Paradise vorgestellt. Sting war damals Ende 30, gut durchtrainiert, vor allem durch Laufen, zeitweise machte er Aerobic. Er habe immer trainiert, um den Anforderungen als Performer gerecht zu werden, sagte Sting dem Magazin. Eines Tages brachte Miller also seinen Yogalehrer für eine Demonstration und eine Übungssession mit ins Studio. „Bevor es losging dachte ich, das wird leicht, ich bin sehr fit“, bemerkte Sting, stellte jedoch nach einigen Minuten fest, dass er die akrobatischen Asanas, die Paradise ihm zeigte, überhaupt nicht hinbekam. Worauf Sting den Entschluss fasste, ernsthaft Yoga zu üben.

Stings anfängliche Zweifel, dass die Yogapraxis zu viel seiner Zeit in Anspruch nehmen würde, entkräftigte Paradise mit der Behauptung, dass er durchs Yoga konzentrierter und energetischer werden würde und mehr Dinge erledigen könnte, was sich für Sting als wahr herausstellte. Ebenso bemerkte Sting, dass Yoga den Alterungsprozess verzögere.

Die Zeitschrift Yoga-Easy behauptet, Madonna habe mehr für die Verbreitung des Yogas getan als Dutzende indischer Gurus. 1998 war die Popsängerin zu Gast in der Oprah Winfrey-Show. Madonna, ebenso wie Sting eine sehr körperbetonte Performerin, hatte vor ihrer Entdeckung von Yoga viel Fitness gemacht, mit Geräten trainiert und war gelaufen. Vor der Geburt ihrer ersten Tochter begann sie mit einer Yogalehrerin in Los Angeles zu üben, die ihr riet, nach der Geburt mit Ashtanga-Yoga zu beginnen.

Nachdem Winfrey im Interview etwas abschätzig kommentierte, sie hätte es auch mal mit Yoga in einem Ashram versucht und wäre dabei immer nur über ihre Füße gestolpert, bemerkte Madonna, dass „Yoga eine Metapher des Lebens“ sei, man müsse Geduld haben. Yoga sei für sie ein Workout für den Körper, den Geist und die Seele.

Im Interview mit dem Yoga-Journal beschrieb Sting, dass ihn das Musikerleben während seiner Tourneen aus der Bahn werfe: das Reisen und Warten auf Soundcheck und Konzert, das oft ungesunde Essen und der Alkohol nahmen ihm die Energie. Mit Yoga, den er schließlich mit seiner gesamten Band vor den Auftritten übte, kam er mehr ins Gleichgewicht zurück. Weder Madonna noch Sting sprachen davon, mit Yoga ein neues Weltbewusstsein zu schaffen, sondern sahen Yoga als einen sehr persönlichen, eigenen Weg. Schlagzeilen machte Sting mit Äußerungen, dass er nun übers Yoga den tantrischen Sex entdeckt habe und stundenlang Sex haben könnte. Womit Yoga zur Sensationsmeldung in den Medien avancierte, zu Etwas, das man keinesfalls verpassen sollte, zum Versprechen und zur Ware.

Seitdem verbreiten sich übers Internet wöchentlich hunderte Bilder, Kommentare und Testimonials von Künstlern und Celebrities, die Yoga machen. 2006 ging eine Meldung durch sämtliche Medien, dass Yoga in den Trainingsplan der deutschen Nationalmannschaft aufgenommen wurde. Der Grund: Yoga stärke die Koordination und die Konzentration der Spieler, ebenso helfe es nach den Spielen bei der Regeneration und Entspannung. Diverse Sportprofis legten im Netz Zeugnis über ihre Yoga-Praxis ab, darunter der Basketballer Dirk Nowitzki und der Golfer Tiger Woods. 2014 veröffentlichte die Medienplattform Buzzfeed eine Bilder-Liste von 43 Berühmtheiten, darunter die Schauspieler Russell Brand und Demi Moore, die mit Yogamatten unterm Arm fotografiert worden waren. US-amerikanische Yoga-Lehrer, wie der bis 2017 in Kalifornien unterrichtende Inder Bikram Choudhury und die New Yorker David Life und Sharon Gannon (Lehrer von Sting und Madonna), hatten oder haben ihrerseits das Charisma von Popstars angenommen.

Interessant ist hier der Vergleich zwischen Männern und Frauen in Bezug auf ihre Motivation, Yoga zu üben. War Madonna auf der Suche nach einem weniger rigorosen-, nach einem persönlicheren Training (der Workout im Gym fühlte sich plötzlich lächerlich an, mein Körper rebellierte dagegen, sagte sie damals in Oprah Winfreys Talkshow), so ging es Sting um mehr Effektivität, die er mit dem Yoga bekam (ich bekam viel mehr auf die Reihe). Der Zündfunke war sein Ehrgeiz, als er bemerkte, dass er die Yoga-Asanas, die ihm Danny Paradise zeigte, nicht konnte und das Üben wirklich anstrengend für ihn war. Nicht ohne Grund sind die sportlichen Yoga-Varianten Ashtanga, Acro und Hot Yoga die bei Männern beliebtesten. Dass ein Promi wie Russell Brand den vergleichsweise sanften Kundalini-Yoga übt, ist die Ausnahme.

Als ich einmal den kalifornischen Senior-Yogalehrer Manouso Manos zum Thema Yoga für Männer befragte, sagte er: Frauen suchen beim Yoga nach einer eigenen oder nach einer gemeinschaftlichen Erfahrung. Männer wollen auch beim Yoga als Sieger hervorgehen. Gefühle kehren sie lieber unter die Matte. Deshalb machen in Deutschland sehr viel weniger Männer (1%) als Frauen (9%) Yoga, und Männer hören viel früher und schneller damit auf, wenn die Yoga-Praxis sie mit ihrem Ego und mit ihren Grenzen konfrontiert.

Performer und Celebrities, die im Rampenlicht stehen, müssen glänzen. Yoga kann ihnen dabei helfen. Sportler sollen gewinnen, und Yoga kann ihre Ergebnisse verbessern. Auf der Schattenseite lautet die Message dieser Yoga-Prominenten-Kultur: ich mache Yoga, also bin ich erfolgreich – und das Publikum imitiert dies.

2007 formulierte der Rapper Common in seinem für einen Grammy nominierten Song „The People“, der auf die Jahresbestenlisten verschiedener Musikmagazine kam, seinen Unmut über die damalige Yoga-Kultur der USA mit den Zeilen: „Why white folks focus on dogs and yoga, people on the low end try to ball and get over.“ (Während die Weißen mit ihren schicken Rassehunden Gassi gehen und Yoga machen, müssen die Abgehängten sich irgendwie behaupten und durchschlagen).

Zeitgleich gab es in der Gentrifizierung verschiedener Berliner Stadtteile (Prenzlauer Berg, Neukölln) eine Welle von „Fuck Yoga“-Aufklebern im öffentlichen Raum. Yoga setzte man mit dem Schicki-Lifestyle einer zugezogenen Elite gleich. Heute, 2021, ist das alles auch schon wieder Geschichte. Die Yoga-Szene hat sich verändert, so wie sie sich seit tausenden Jahren stetig verändert. Doch wer weiß, ob es die heutige Gender-Sensibilität ohne die Verbreitung von Yoga so heute geben würde?