Die Niyamas – Über den Umgang mit sich selbst

Wie können wir gut zu unserer Umwelt sein, wenn wir dies nicht zu uns selbst sind? Damit wir unser Innenleben, unseren Körper und Geist in einen harmonischen Zustand bringen, empfiehlt Patanjali die Sichtweisen der Niyamas:

Sauca: Reinlichkeit
Santosha: Zufriedenheit
Tapas: Motivation, Disziplin
Svadyaya: Selbsterkenntnis
Isvara Pranidhana: Demut, Hingabe

Sauca, das Prinzip der Reinlichkeit sieht Patanjali ganz pragmatisch. Zu seiner Zeit waren die Hygienestandards andere, mehr Menschen als heute wurden Opfer von Infektionen und Epidemien. Aber natürlich hat sich grundsätzlich nichts an der Tatsache verändert, dass fehlende Hygiene, ob nun körperlich oder geistig, den Menschen schwächt und behindert. Also empfahlen die Yogis schon vor Jahrtausenden, sich zu waschen, die Hütte zu putzen, alle Angelegenheiten in Ordnung zu halten, sich so zu pflegen und ernähren, dass der Körper gesund bleibt und der Geist ruhig und klar. Das Thema ist, wie man schnell merkt, unendlich: Unser Essen, unsere Mobilität, mentaler Spam, verdrängte Gedanken… Jede(r) lässt irgendwo Verschmutzung zu. Früher oder später wird sie zum Stolperstein. Nebenbei sei erwähnt, dass es in der Yogatradition keine großen Vorschriften darüber gibt, wie man sich ernähren soll. Die Hatha Yoga Pradipika (Leuchte des Yoga), ein anderes wichtiges Standardwerk des Yogas, mahnt zwar zum Verzicht auf Zwiebeln und Knoblauch, insgesamt gibt es nicht mehr als ein paar Empfehlungen. Womöglich wusste man schon damals, dass es keine einheitliche Standardernährung für jeden Typ Mensch geben kann.

Santosha, die Zufriedenheit, hängt bei Patanjali eng mit dem Prinzip von Aparigraha (nichts haben wollen, was einem nicht gehört, siehe Yamas zusammen. Die Yogis erkannten, dass wir nur echte, andauernde Freude empfinden, wenn wir unsere Zufriedenheit nicht mehr an äußere Faktoren knüpfen. Der Verstand suggeriert uns zwar, dass wir andauernde Freude durch die momentane Befriedigung unserer Bedürfnisse (alias Konsum) erreichen, es ist aber nicht so. Wenn wir das Prinzip Santosha durchdringen, entledigen wir uns sinnlosem Leiden, weil wir uns abgewöhnen, es immer anders haben zu wollen als es gerade ist. Wir haben weniger Probleme, entdecken die Herzensqualität der Dankbarkeit. Die glitzernden Objekte der materiellen Welt können klarer als das erkannt werden, was sie sind. Yoga bedeutet nicht automatisch Verzicht. Erfolg im Yoga zeigt sich allerdings auch dadurch, dass wir weniger brauchen, um zufrieden zu sein und andere Prioritäten setzen. Wie gesagt, ist dies nicht moralisch gemeint, es geht tiefer. Der Weg zu Santosha kann uns die Erkenntnis bringen, das alles, hinter dem wir herjagen, schon längst in uns da ist (Shivoam), wenn wir die Klarheit finden, es nur zu sehen.

Die letzten drei Prinzipien der Niyamas heißen

Tapas: zielstrebiges,absichtsvolles Handeln, Leidenschaft und Selbstdisziplin
Svadhayaya: Selbsterkenntnis
Isvara Pranidhana: Sammlung, Versenkung, Hingabe an eine höhere Kraft

Wir werden langfristig nicht weit auf dem Yogaweg kommen, wenn wir uns nicht einen Ruck geben, eine regelmäßige Praxis aufbauen und einhalten: Tapas. Wenn wir Muskulatur auftrainieren wollen, schaffen wir dies nur, wenn wir den Muskel regelmäßig reizen und ausruhen. Ein wichtiger Punkt von Tapas ist: „aus der Komfortzone herausgehen, um bewusster zu werden“, denn Bequemlichkeit unterdrückt Bewusstheit. Jeder Mensch bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Balance und Transformation. Jeder Mensch sucht irgendwann, irgendwo nach Erweiterung seines Horizonts, nach Erkenntnis, es ist uns Menschen angeboren. Fällt dieser innere Antrieb weg, dann vegetieren wir nur noch vor uns hin. Machen wir aber dabei zu große Schritte auf einmal, dann wirft uns dies aus der Bahn, in Form von Verletzungen oder Irritationen. Je mehr Tapas, je mehr Feuereifer wir an den Tag legen, beim Praktizieren von Asanas und Pranyama, oder durch Askese: Fasten, kalt duschen, Verzicht auf Kaffee und Alkohol et cetera, desto mehr wird uns dies an unsere Grenzen bringen. Vielleicht erreichen wir einen Zustand völliger Erschöpfung, in dem alle vom Ego eingespielten Rollen von uns abfallen und wir uns ganz anders wahrnehmen als zuvor.

Es wird aber früher oder später klar, dass unser Handlungsspielraum nicht beliebig ist. Wir können nicht alles erreichen, was wir uns vorgenommen haben. Damit wir an diesem Punkt nicht scheitern, gibt uns Patanjali das Prinzip Isvara Pranidhana. Isvara bedeutet wörtlich übersetzt Gott. Pranidhana könnte man mit „aufgeben, widmen, sich unterstützen lassen“ übersetzen. Gemeint ist die Akzeptanz unserer Grenzen. Das Loslassen der Erwartung, ein vom Ego definiertes Resultat zu erreichen. Bestimmte Dinge liegen einfach nicht in unserer Macht. Wenn wir uns von der Anhaftung an ein fixes Resultat lösen, werden wir innerlich freier. Unser Tun wird wieder zu einem Kinderspiel. Wir können gelassener und vertrauensvoller durchs Leben gehen.

Die letzten drei Niyamas gelten zusammen genommen als der Weg des so genannten Kriya-Yogas. Wir finden hier eine Polarität zwischen Feuereifer, Motivation, Ausrichtung auf ein Ziel (Tapas) und akzeptierender, demütiger Hingabe (Isvara Pranidhana). Die so erleuchtete Yogini gibt alles wie eine Sportlerin beim Wettkampf. Sie weiß aber, dass sie nicht wichtiger ist als andere Wesen und sie weiß, dass nichts im Leben selbstverständlich ist. Es wird klar: Patanjalis Yogaweg ist nicht logisch aufgebaut, denn die Realität entzieht sich der Logik, sie offenbart sich zwischen Polen, Gegensätzen.