Wie viel „Respekt“ brauchen Yogis?

Alles neu macht der Mai? Corona lässt leider den Wonnemonat 2020 alt aussehen, denn schleichend spürt jeder in den Kontaktbeschränkungen das mitmenschliche Defizit. Atemschutzmasken stoppen jeden Flirtversuch. In mancher Familie oder Partnerschaft geht man sich eher aus dem Weg. Man ist zielgerichtet unterwegs, vorsichtig und bisweilen misstrauisch. Frühlingsgefühle sind andere. Dabei sind wir soziale Wesen. Hier bricht gerade viel weg.

Interessant, sich da einmal das Wort Respekt anzuschauen. Respekt stammt aus dem lateinischen „respectio“, sprich: zurückschauen, betrachten, noch Mal hinschauen. Frauen schauen zweimal hin, wenn sie Interesse an jemand haben. Männer drehen sich nach bestimmten Frauen (oder Männern) um. Manche kaufen sich Respekt, sie gehen shoppen. Aufmerksame Verkäufer suchen da Kleidung aus, bei der mal wieder jemand hinschauen soll. Oder gleich ein neues Auto. Wahnsinn, was wir machen, damit man uns bemerkt. Anderen fällt Respekt einfach zu, sie haben Charisma. Yogis würden sagen, sie haben innere und äußere Energieräume (Chakras, Koshas) durchdrungen, befreit. Im Moment schaut aber sowieso keiner. Die Welt ist voller Masken und Scheuklappen. Was macht das mit uns, dass wir so auf uns selbst zurückgeworfen werden und wie können wir damit umgehen?

Ich denke, dass wir mit Yoga einen wunderbaren, geradezu magischen Baukasten voller starker Tools haben, die uns dabei helfen, jemandem zu begegnen: uns selbst. Körperhaltungen (Asanas), Atemübungen, Meditation, Mantras, Mudras und Visualisation bringen uns mit uns selbst in Kontakt. Sie sind unser Weg zu mehr Selbst-Liebe. Mit diesen Tools sind wir unabhängiger von der Bestätigung, vom Respekt anderer.

Für Yogis gibt es keinen Unterschied zwischen Mikro- und Makrokosmos, zwischen der inneren und der äußeren Welt. Oft machen wir die Erfahrung, dass sie sich gegenseitig spiegeln. Wer Bestätigung und Zuwendung von außen braucht, um sich innerlich gut zu fühlen, hat es gerade sehr schwer. Mit Yoga können wir diese Bestätigung aus uns selbst schöpfen. Unseren Körper in Balance bringen. Unsere Emotionen als vergänglich erkennen und ihnen nicht ausgeliefert sein. Unseren energetischen Körper leuchten lassen. Uns selbst gut genug sein, das Nötige in uns selbst zu finden. Yoga macht uns nicht immun gegen Corona, aber es macht den Status quo erträglicher.

Manche lassen gerade ihre Yogapraxis verkümmern, weil es keinen Kontaktunterricht mehr gibt. Die Handgelenke und Bauchmuskeln werden wieder schwächer, die Atmung holpriger, unser Körper-Geist-Kontinuum verliert an Schärfe und Gelassenheit. Dabei gilt auch fürs Yoga: Use it or loose it. Wir kommen in unsere Kraft, wenn wir diese Kraft gebrauchen, praktizieren, in Beziehung zu uns setzen, pflegen. Manchmal fällt dies ohne Gegenüber schwer. Auch beim Online-Yoga können wir in einen tiefen Kontakt treten. Der eigene, innere Lehrer kommuniziert dann mit dem Yogalehrer auf dem Bildschirm. Ganz egal, wie und wo man sie macht: Yoga ist immer eine ganz eigene persönliche Erfahrung. Sehr geschickt ist, die Krise als Einladung zum persönlichen Retreat zu nutzen.