Die Schulter: zentrieren und entlasten

Utthita Hasta Padangustasana 2

Die Schulter ist das flexibelste Kugelgelenk des menschlichen Körpers. Hier können wir uns leicht verletzen.

Die Schulter ist kein Ponyhof! Deutsche Redewendungen verbinden diesen Teil unseres Körpers mit Mühen, Kampf und Unsicherheit, mit Abneigung und Zuneigung. Da gibt es den grimmigen Schulterschluss und das stoische Schulter-an-Schulter stehen. Das mühsame Schultern einer Last. Man fürchtet, etwas auf die leichte Schulter nehmen zu können. Jemand zeigt die kalte Schulter, klopft sich selbst auf die Schulter. Zum Trost landete der Sänger Paul Anka 1958 mit „Put Your Head On My Shoulder“ einen internationalen Hit.

Nun ja, die Schultern können selbst wenig für ihr Image. Über die Arme verbinden sie die Hände mit dem Kopf, sie ermöglichen unser Handeln, sie geben uns Erfahrung. Sie sind versierte flexible Diener, Tatorgane (Karmendriyas) unseres schweren, gestressten Kopfs, der nach vorn schiebt, beim Lesen auf dem Bildschirm, Handy angucken, Auto fahren, eigentlich fast immer (kein Ponyhof). Davon wird der Nacken steif, und das wird den Schultern zum Verhängnis, zum Gefängnis, mindert ihre Beweglichkeit. Seien wir ehrlich: sind unsere Schultern dabei nicht auch ein wenig faul? Geben auf, lassen sich hängen? Das tut ihnen nicht gut!

Anatomisch sind die Eckpfeiler unserer Schultern die Schulterblätter und Schlüsselbeine. Genau genommen besteht die Schulter aus drei Gelenken: Dem Schultergelenk (Articulatio humeri), dem Schultereckgelenk (Akromioklavikulargelenk) und dem Brustbein-Schlüsselbein-Gelenk (Sternoklavikulargelenk). Beim Bandapparat wurde gespart, es gibt nur vier Bänder, welche die Schulter halten. Ebenso sportlich ist das Verhältnis des relativ großen Oberarmkopfes mit einer recht kleinen Schultergelenkspfanne. Dies macht unsere Schulter so verletzungsanfällig.

Es gibt drei Kennmuskeln, mit denen wir den Oberarm richtig im Schultergelenk zentrieren: Dies sind der schon erwähnte Nacken, insbesondere die Seiten des Nackens (Levator scapulae), die Muskeln der seitlichen Rippen, der so geannte Boxermuskel (Serratus anterior) und der kleine Brustmuskel. Am Rücken halten die rautenförmigen Muskeln dagegen, sie verbinden die Innenseite des Schulterblattes mit der Wirbelsäule. Wenn einer dieser Mitspieler zu stark oder zu schwach, zu locker oder zu fest wird, dann zieht es den Oberarmkopf aus dem Schultergelenk.

Dem im Alltag so runden Rücken mit vorgeschobenen Schultern versuchen manche beim Yoga mit dem anderen Extrem zu begegnen. Da werden die Oberarme ausgedreht, die Schulterblätter zueinander gezogen, die Schultern gehen grundsätzlich vom Kopf weg. Das kann eine Weile gutgehen, birgt aber Verletzungsgefahr. Um den Oberarmkopf verlässlich in der Schultergelenkspfanne zu zentrieren gibt es zwei Faustregeln: 1. Bei gestrecktem Arm möchte die Schulter zum Handgelenk. 2. Bei gebeugtem Arm möchte die Schulter zum Ellenbogen. Diese beiden Regeln funktionieren sicher bei Yogahaltungen, in denen wir kein- oder kaum Gewicht auf den Händen haben. Wie bei jeder guten Regel gibt es auch hier Ausnahmen: bei Arm-gestützten Yogahaltungen wie dem Handstand gilt: „drück dich raus, hebe dich von den Händen/Armen in die Schulter.“

Der Schultergürtel soll immer stabil ausbalanciert und stark sein. Die Öffnung, die Weite soll im Rumpf entstehen und natürlich nicht in einem ausgeleierten Schultergelenk. Beim Yoga machen wir viel mit den Händen und Armen. Umso wichtiger ist es, die Schultermuskulatur so zu kräftigen und zu dehnen, dass sich unsere Schulter beim Üben solide aufspannen kann. Dann entsteht die ersehnte Freiheit ohne Reue durch Verletzung. Ein Gefühl von emotionaler Entlastung, Gleichmut und Unbekümmertheit, nach dem wir uns oft so sehnen wie nach einer starken Schulter zum Anlehnen.