Die Gunas

Gunas

Drei Fäden, aus denen die Welt gewebt ist

Warum sind wir Menschen irgendwie alle gleich und doch so unterschiedlich? Warum erleben wir manchmal Situationen und Kontakte spontan als angenehm oder unangenehm? Warum fühlen wir uns mit uns selbst manchmal gut und manchmal weniger? Warum brauchen wir eine Balance, und worin besteht diese Balance? Yogis und Quantenphysiker sind sich darin einig, dass alle Materie, also auch wir, sogar unsere Gedanken und Gefühle nichts anderes als Energie sind. Die Welt ist Klang. Energie (Prana) fließt wie Stromkreis durch die gesamte Natur. Jeder hat so seine Schwingung (Spanda). Selbst ein Stein, wenn man genau nachmisst. Unsere Stimmung verändert sich subtil von Moment zu Moment.

Woraus besteht für die Yogis die Lebensenergie?

Das uralte yogische Wissen hat vor tausenden Jahren das Konzept der Gunas entwickelt. Wörtlich meint Gunas Fäden, aus denen alle Materie gewebt ist. Es sind Ur-Qualitäten unseres Seins und Tuns, und es gibt hier zwei Extreme, Pole und eine dritte Qualität, die aus beiden erwächst. Die Extreme nennt der Yoga Tamas und Rajas. Tamas ist das Träge, Unbewegte, dicht gewebte Stabile, das alles zusammenhält. Rajas (wörtlich: wehender roter Sand) beschreibt das Bewegte, Flüchtige, Ruhelose. Unsere Knochen sind Tamas und der Blutkreislauf ist Rajas. Beide können nicht für sich allein bestehen, sie brauchen den Gegenpol. In ihrem Zusammenspiel entsteht eine dritte Qualität: Sattva, das Ausgeglichene. Die innere Ruhe, Harmonie, Aufmerksamkeit und Konzentration sind Ausdruck von Sattva in uns.

Wollen wir immer nur ausgeglichen sein?

In einem Yogaworkshop mit dem Iyengar-Lehrer Manouso Manos erzählte im Satsang eine Frau, sie war langjährige Yogalehrerin, dass sie wegen ihrer Yogapraxis Probleme hatte, die Neuköllner Sonnenallee entlang zu gehen oder mit der U8 zu fahren. Die Schwingungen der Menschen würden ihr derart zusetzen, dass sie sich nur noch in ihrem Yogastudio wohl fühlte. Manos wurde da ernst und sagte ihr, sie sei auf dem falschen Weg mit ihrer Praxis, wenn sich so etwas zeige. Anders ausgedrückt: Wer süchtig nach Sattva wird, wer kein Chaos um sich herum mehr toleriert, der irrt, macht sich und anderen damit Probleme. Jahrelang war der Konsens in der Yoga-Szene, dass man alles Tamasische, Träge und alle Rajasische, Erhitzte hinter sich lassen sollte und nur noch Sattva, die Reinheit, das Licht, die Klarheit, innere Ruhe und Konzentration anstreben sollte. Das wurde schnell dogmatisch. Wer Yoga machte durfte keinen Kaffee und Alkohol mehr trinken. Laute Musik, scharfes Essen oder gemütlich abhängen – verpönt, zu extrem! Am besten gleich in die Höhle im Himalaya.

Der Yoga möchte über alle Gunas hinaus in die Bewusstheit kommen

So war das aber nicht gemeint. Keiner der alten Texte, wie die Bhagavad Gita oder die Yoga Sutras – geschrieben vor tausenden Jahren – möchte Rajas und Tamas auslöschen, so dass nur noch Sattva übrig bleibt. In ihrer Hellsichtigkeit und Beobachtung der Natur ging es den Ur-Yogis nicht darum, die Natur zu verändern, sondern darum zu erkennen, was ist. Prakriti, die Natur, ist niemals statisch, sie vibriert und verändert sich ständig. Etwas Dauerhaftes, Allgemeingültiges da reinzustanzen, gehe an der Realität vorbei. Wer nicht mehr ekstatisch tanzen mag oder mit kleinen Kindern herumtollen, wer nicht mehr nach leckerem Essen genüsslich wie ein Faultier herumdösen kann, verpasst einige der Möglichkeiten des Seins, wird zwanghaft und gerät aus der Balance.

Das eigentliche Ziel des Yogas ist es nicht, sattvisch zu werden

Ziel des Yogas ist vielmehr eine tiefe, beobachtende Balance im steten Wandel der drei Gunas, in dem immer eine der drei Qualitäten dominiert. Der Yoga sucht eine Balance, die allen drei Gunas in uns gerecht wird: der Trägheit, Stabilität – Tamas; der Leidenschaft, dem inneren Feuer – Rajas; und der Klarheit, der Gelassenheit, Besonnenheit – Sattva. Der Yogin beobachtet das Spiel der Gunas, ohne sich von ihnen zu unerwünschten Handlungen bringen zu lassen, schreibt Patanjali. So erlangen wir Freiheit, Moksha.